Eröffnungsrede von Sabine Heitmeyer-Löns zur Ausstellung in Asbeck 2012
(musikalisch umrahmt von Clara und Martin Löns)
Ich
freue mich sehr, liebe Angelika, dass du unsere Familie, deine
„Nachbarschaft“ eingeladen hast, die Eröffnung deiner Ausstellung „Begegnungen
und Begebenheiten“
zu umrahmen, Vielen Dank dafür.
„Nachbarschaft“ ist der Titel einer deiner Bildobjekte. Nachbarschaft soll
deshalb auch mein erstes Stichwort für diesen Text sein. Ich möchte diese
Arbeit zur Einführung in dein Schaffen heranziehen.
Zunächst
aber für alle, die die Künstlerin und ihr Umfeld noch nicht persönlich
kennen: Angelika Schlüter lebt und arbeitet auf Haus Stapel, einem
Wasserschloss in Havixbeck. Stapel ist ein klassizistisches Schloss mit barocker
Vorburg, eine Anlage von morbider, ländlicher Schönheit. Als Ensemble mit
seinen verschiedenen Nebengebäuden erzählt es von einer bäuerlichen
Vergangenheit, die heute in dieser Art nicht mehr möglich ist.
Leben
auf Stapel bedeutet auch, auf einem Areal zu leben, das von der Münsterschen Aa
und einem System von Gräften und Wassergräben durchzogen ist, trotz aller
Drainagen und Kultivierungsversuche immer noch feucht und morastig.
Das
Landstück vermittelt den Eindruck fortdauernden Bestrebens, sein humides
Eigenleben aufrecht zu erhalten, indem es sich subtil der modernen Land- und
Forstwirtschaft widersetzt. Idealer
Lebensraum für Frösche, für alles, was Frösche mögen, und für diejenigen,
die wiederum die Frösche mögen.
Das Bildobkjekt „Nachbarschaft“ Fünf
mehr oder weniger platte, mumifizierte Frösche, weiß angemalt, durch sparsam
aufgesetzte schwarze und rote Farbe an Kopf und Zehen konturiert und dadurch
irgendwie auch ins Leben zurückgeholt.
Alle auf Stapel kennen den Tanz, der mit dem Auto zu vollführen ist, wenn im Frühjahr
des Nachts Kröten und Frösche die Allee überqueren. Nicht zu vermeiden, den
einen oder anderen zu erwischen, der sich dann unter günstigen
Witterungsbedingungen in eine spezielle Mumienkonsistenz hinein trocknet.
Bedauern….natürlich…gleichzeitig
aber auch eine humorige Freude am Wandel der Form, an ihrer Vielfalt.
Der Hintergrund des Bildobjektes Alle
verwendeten Materialien stammen aus dem Schloss. Zuunterst ein weißes Gewebe,
Teil einer Stoffwindel, sicher erst in zweiter oder noch späterer Verwendung
zum Auffangen von Regen oder Tauwasser benutzt, dass sich seit der Erbauungszeit
des Schlosses immer wieder den Weg durch Dach und Gemäuer bahnt.
Verzweifelte
Versuche, Kultur und Natur gerecht zu werden, Sparsamkeit. Die Windel aber auch
als Versatzstück des Lebensanfangs.
Darüber
Goldfolie mit eingeprägtem Blattmuster, leicht, barock anmutend, vielleicht
auch an die wunderbaren Brokate des späten Mittelalters erinnernd. Widerschein
feudaler Pracht glanzvollerer, versunkener Zeiten, überblendet von einem Stück
Tapete mit zartem Blümchenmuster, deren rote Farbe in permanenter Feuchtigkeit
verlaufen zu sein scheint. Es stammt aus einem Zimmer der beiden „Tanten“,
der letzten Baronessen, die Haus Stapel bewohnten.
Die
Frösche davor. Nur bei näherem Hinschauen erkennt man, dass die drei rechten
den Betrachter aus dem Bild heraus anschauen, die beiden linken wenden ihm den Rücken
zu, ihre nach oben gerichteten Augen lassen sie aber dennoch nicht kontaktlos
wirken. Nebeneinander, aber doch aufeinander bezogen. Und auch tot. Lebensende.
Ein Kreis. Wandel. Nachbarschaft.
Immer wieder ziehen Angelika Schlüter das Schloss, seine Geschichte und die
Geschichte und Geschichten seiner Bewohner in ihren Bann. Der Ort und das Leben.
Begebenheiten und Begegnungen, die in dieser Form nur dieser einzigartige Ort
mit seinen einzigartigen Bewohnern möglich macht und gemacht hat.
Ihr
Film „Bauer Seesing und Herr Baron“ thematisiert das äußerst
anschaulich und voller Poesie: Zwei
annähernd gleich alte Männer, der Bauer und Pächter Heinz Seesing und der
Schlossbesitzer Hermann-Josef Freiherr Raitz von Frentz erzählen Begebenheiten
aus ihrem Leben, sprechen, jeder für sich.
In
unterschiedliche gesellschaftliche Zusammenhänge hineingeboren, vereint sie die
Spanne ihrer Lebenszeit mit den jeweiligen politischen, gesellschaftlichen und
persönlichen Begebenheiten und Stapel als Ort eines gemeinsamen, und dennoch
getrennten Lebens. Es verbindet beide eine außergewöhnlich Wachheit und
Beobachtungsgabe, Lebensmut und Courage, Erinnerungsvermögen und die Fähigkeit,
die Dinge zum Ausdruck zu bringen. Jeder auf seine vornehme und gleichzeitig
sprachgewaltige Art.
Der
Film ist hier als DVD zu erwerben, ich lege ihn Ihnen allen sehr ans Herz, denn
er erwärmt es - und versöhnt. Mit Vielem.
Charakteristisch für Angelika Schlüter ist aber auch, dass sie nicht auf
Stapel verweilt. Dass sie die Entfernung vom allzu bekannten sucht, die
Perspektive wechselt, um Plätze zu finden, an denen sie für eine gewisse Zeit
bleiben kann, lang genug, um den Geist des jeweiligen Ortes zu ergründen und
mit seinen Bewohnern in Beziehung zu treten. In solchen Zeiten sind Arbeiten
entstanden, die dann nicht selten auch für den jeweiligen Ort gedacht
sind. Beispielhaft soll an dieser Stelle die Arbeit „Volk der Gefühle“
angeführt sein, die für die Zukunftswerkstatt Mariposa auf Tenriffa geschaffen
wurde. Sie inspirierte Peter Grohmann zu einem Märchentext, der als Folie für
einen poetischen Film dient. Angelika Schlüter realisierte ihn zusammen mit
Siegrid Dethloff. Dieser Film wird hier gleich zu sehen sein.
Immer wieder zieht es Angelika Schlüter auch nach Osteuropa. Ihre Reisen führten
sie vor allem nach Ungarn und Polen.
Mit
besonderer Leidenschaft aber liebt sie das Meer. Regelmäßige Aufenthalte in
Altafulla, Spanien oder auch im Künstlerschloss Plüschow in Mecklenburg -
Vorpommern finden Anklänge in ihren Arbeiten oder schlagen sich direkt nieder,
wie in der prozesshaft angelegten Installation „Mönche im Meer“:
Begebenheiten und Begegnungen
Diese
Einführung wäre nicht vollständig, würde ich nicht zum Schluss noch kurz auf
die vielen Kleinskulpturen der Künstlerin eingehen, die zumindest in der Außenwahrnehmung
den zentralen Platz in ihrem Schaffen einnehmen.
Kleine,
modellierte, menschliche Gestalten, kombiniert mit teilweise kuriosen Fundstücken,
zumeist aus Metall. Auf den ersten Blick wirken die Figuren neutral,
weitestgehend geschlechtslos, schnörkellos, reduziert.
Die
Titel der Arbeiten verweisen auf Menschliches, auf Empfindungen,
Befindlichkeiten, Zustände, Verhaltensweisen, Emotionen.
Angelika
Schlüter sagt dazu: „Mit meinen Skulpturen stelle ich Begegnungen und
Begebenheiten des menschlichen Alltagslebens dar. Die Gefühle sind Ausdruck
unserer Seele und somit Bestandteil eines jeden Menschen. Sie sind ständig in
Bewegung und so wechselhaft wie die Natur.“
Die Sprache der Figuren ist subtil, sie begegnen einander in oft minimalistisch
angedeuteten Gesten, durch ihre Haltung, die Ausrichtung des Blicks in den
ansonsten einander sehr ähnlichen Gesichtern. Sie wären nicht möglich ohne
die präzise und zugleich teilnehmende, mitfühlende Wahrnehmungsfähigkeit der
Künstlerin. Einzeln oder in kleinen Gruppen begegnen sie aber auch dem
Betrachter, stellen seine
Wahrnehmungsfähigkeit auf die Probe, halten ihm den Spiegel vor oder rühren
ihn an. Nie vermitteln sie sich auf plakative Weise, es bleibt ihnen etwas Rätselhaftes,
Wechselndes, sich Wandelndes….. „so wechselhaft wie die Natur“.
Nicht
zuletzt fordern sie uns zur Zwiesprache auf, mit ihnen und mit uns selbst.
Und
auch das darf zum Schluss gesagt werden: sie sind schön!
Ich wäre lieber ohne Zitat ausgekommen, zumal mir bewusst ist, dass der an sich
sehr einfache Satz, der mir gestern beim Betrachten der Arbeiten Angelika Schlüters
in den Sinn kam, aus einem sehr komplexen gedanklichen Zusammenhang stammt. Doch
ob es sich eher um ihre reichhaltig erzählenden Objekte handelt, oder um die
sparsamen, reduzierten Arbeiten, nichts charakterisiert Angelikas Schaffen mehr
als der Gedanke der Begegnung.
Mir
selbst fällt dazu kein schönerer, treffenderer Schlusssatz ein als der
eigentlich zentrale und sicher auch meist zitierte Satz Martin Bubers aus seiner
1923 erschienen Schrift Ich und Du: „Alles wirkliche Leben ist
Begegnung“.
Ich danke Ihnen und wünsche Ihnen viel Freude beim Rundgang durch die
Ausstellung.
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